Die Lateinische Münzunion, Vorgänger des Euros

Von Dr. Ruedi Kunzmann

Mit der Lateinischen Münzunion LMU, welche die erfolgreichste gemeinsame Währungsverbindung ihrer Zeit darstellte, entstand bereits vor 135 Jahren ein Vorgänger des Euro. Grundlage dazu(1) bildete das Buch «Die Lateinische Münzunion» von Albert Niederer (2), ein Thema, welches sowohl Bundesmünzensammler als auch Freunde der Münzen aus aller Welt interessieren wird.

Ein wenig Münzgeschichte

Geld entstand sicher aus dem Bedürfnis nach einem Wertmassstab, der den einfachen Tauschverkehr ablösen konnte. Vorerst mit vielleicht «primitiven» Geldformen, bald aber auch mittels gewichtsgleichen und einheitlich geformten Geldstücken in Gold und Silber, konnte man vermeiden, dass bei jedem Tausch- oder Zahlungsakt die entsprechende Menge Edelmetall abgewogen werden musste.

Den logischen nächsten Schritt von lokaler zu überregionaler Währungs- bzw. Münzvereinigung treffen wir etwa 520 v. Chr. in Böotien an, als sich diverse griechische Stadtstaaten um Theben, Tanagra, Heliartos und später auch Koroneia, Mykalessos, Pharei und Akraiphia zu einem allerdings lockeren Verteidigungsbündnis zusammenschlossen, welches gemeinsame Münzen prägte, die auf den Vorderseiten alle eine schildartige Verzierung aufweisen, während die Rückseiten jeweils die lokalen Symbole zeigten.

Die Geschichte des Geldes kennt unzählige solche Zusammenschlüsse, welche auch in der aktuellen Ausstellung berücksichtigt werden. Lassen wir stichwortartig einige Beispiele aufzählen: Denare der Römerzeit zirkulierten während mehreren Jahrhunderten rund ums Mittelmeer und in halb Europa und waren mitverantwortlich für diverse Perioden stabiler Wirtschafts- und Geldpolitik dieses Weltreichs. 

  

Karl der Grose, Denier o.J., Münzstätte Melle

Im Mittelalter war es dann die Münzreform Karls des Grossen, welcher anlässlich der Synode von Frankfurt im Juni 794 ausdrücklich festhielt: «An jedem Ort, in jeder Stadt und an jedem Marktort sollen die neuen Denare gleichermassen kursieren und von allen akzeptiert werden». Der vom Frankenreich ausgehende deutliche Aufschwung des karolingischen Systems ‹Pfund-Schilling-Denar (= Pfennig)›, führte bald auch zu einembedeutenden Anstieg der übernationalen Güterbewegungen. Dieses bewährte System fand bis in unser Jahrhundert seine Verbreitung. So ging Grossbritannien erst 1971 zur Dezimalwährung über, und wir erinnern uns, welche Widerstände dabei überwunden werden mussten.

  

Basel, Konkordatsbatzen 1826

Die Neuzeit kennt unzählige kleinere und grössere Münz- und Währungsverbindungen. Für unser Land denken wir etwa an den Münzbund von 1404 zwischen den Bodenseestädten, Schaffhausen und Zürich, sowie an den 1424 geschlossenen Vertrag von Zürich, St. Gallen und Schaffhausen, oder an den bedeutenden Rappenmünzbund zwischen Basel, Thann, Breisach, Freiburg i.Br. und Colmar. Wir können auch die Bestrebungen zur Vereinheitlichung des Geldes in der Helvetik dazuzählen und das Konkordatsgeld der Kantone Bern, Solothurn, Freiburg, Basel, Aargau und der Waadt ab 1825.

Europaweit erwähnenswert sind Versuche zur Vereinheitlichung des Geldes in den verschiedenen Reichsmünzordnungen von Esslingen, Nürnberg und Augsburg im 16. Jh. und später die Konventionen von Zinna, Leipzig und Hamburg/Lübeck sowie die Einführung der verschiedenen Münzfüsse (Graumannscher Fuss, Wiener Konventionsfuss, Kronentalerfuss, 24-Gulden-Fuss, etc.) um 1750.

In den lateinischen Ländern sprachen im 14. Jh. bereits Pierre Dubois und Dante Alighieri vom vereinigten Europa, dies allerdings nur im politischen Sinn, während 1713 Abbé de Saint-Pierre in seinem «Traktat zum ewigen Frieden» erstmals, wenn auch nur in Ansätzen, den Gedanken von einheitlichen Handelsgesetzen aussprach.

Schlussendlich forderte Napoleon Bonaparte für sein (französisches) Europa gleiche Masse und Gewichte. Erste Grundlagen für die LMU entstammen also dieser Zeit.

Während es in Deutschland um 1850 noch etwa acht verschiedene Münzsysteme gab, die LMU bereits vorhanden war, entstand im Norden Europas 1872 die Skandinavische Münzunion zwischen Dänemark und Schweden (dem 1875 noch Norwegen beitrat), welche bis 1924 intakt blieb, und noch heute rechnen diese Staaten in Kronen und Öre.

Die Lateinische Münzunion

Die Jahre der französischen Revolution 1789–1795 stellen eine Zeitperiode dar, welche Ursache für gewaltige Veränderungen in ganz Europa war. Napoleons Aufstieg, die Entstehung der Grossmacht Frankreich und die anschliessende Neuordnung der alten Welt nach dem Wiener Kongress 1815, sind auch für die Entstehung der LMU mitverantwortlich. 

  

Frankreich, Direktorium (26. Oktober 1975–10. November 1799) (links), erste 5-Franken-Münze an 4 (1795/96), Münzstätte Paris (rechts)

Das Frankensystem war zu Beginn des 19. Jh. durch die Eroberungen Napoleons in halb Europa gängig. Neben dem mächtigen französischen Mutterland prägten auch diverse italienische Gebiete die Münzeinheit Franken zu 5 Gramm Silber, 900/1000 fein, so die Cisalpinsche Republik 1801, das Fürstentum Lucca nach 1805, Italien als Königreich Napoleons ab 1807 und kurz darauf auch Neapel, Parma, Sardinien und die provisorischen Regierungen von Mailand und Venedig.

Nach dem Fall Napoleons I. blieben verschiedene Länder bei der eingeführten Währung, so die nachfolgenden französischen Könige und die verschiedenen republikanischen Regierungen. Auch in Italien übernahmen die Savoyer als Könige von Sardinien, Piemont und Savoyen (und später als Könige von Italien) dieses Münzsystem. 1833 entschied sich das junge Königreich Belgien ebenfalls für die Geldeinheit Franc.

In der Schweiz sollen um 1820 bis zu 8’000 verschiedene Gepräge in Umlauf gewesen sein! Wenngleich diese Zahl vermutlich übertrieben ist, zeigte sich doch, dass eine Vereinheitlichung des Geldwesens dringend nötig war. Bereits im Vorfeld der Entstehung des schweizerischen Bundesstaates war heftig diskutiert worden, welches Münzsystem des benachbarten Auslandes übernommen werden sollte. Die östlichen Kantone neigten eher zum süddeutschen Währungssystem, während Bern und die nordwestlichen Gebiete den französischen Franken bevorzugten. Schlussendlich siegte diese Ansicht, und 1850 wurde der Schweizerfranken eingeführt.

Um 1860 prägte folglich halb Europa nach einem einheitlichen Münzfuss, und es war nur eine logische Folgerung, dass man eine gemeinsame Union anstreben würde.

Am 23. Dezember 1865 wurde in Paris der Münzvertrag zwischen Frankreich, Italien, Belgien und der Schweiz unterzeichnet, der die Lateinische Münzunion begründete und am 1. August 1866 in Kraft trat. Der Vertrag liess die Nominale 100, 50, 20, 10 und 5 Franken in Gold zu und gab ihnen, wie den Silbermünzen (3) zu 5, 2, 1, 1/2, 1/4 und 1/5 Franken, unbeschränkte Zahlungskraft im Vertragsgebiet. Der bis Ende 1879 geschlossene Vertrag konnte verlängert werden, und auch weitere Staaten durften beitreten, so etwa 1868 Griechenland. Über Papiergeld enthielt der Vertrag nichts.

Die Staaten der Lateinischen Münzunion (Abb. Niederer, Katalog LMU, Hilterfingen, 1976, Klick auf Abbildung vergrössert Karte)

Obwohl regelmässige Kontakte, Sitzungen und Zusatzverträge die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in Europa zu berücksichtigen versuchten (so wurden etwa auf Wunsch der italienischen Regierung die Scheidemünzen ab 1900 und diejenigen Griechenlands ab 1909 nationalisiert), scheiterte der Vertrag schlussendlich an den grossen Unterschieden der Teilnehmerstaaten und ihren Schulden, Haushaltdefiziten und nationalen Egoismen. Mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914 wurde die LMU weitgehend zur Makulatur, und der formelle Austritt Belgiens 1926 beendete diese Münzgenossenschaft endgültig. Nach der Verordnung des eidgenössischen Bundesrates vom 1. April 1927 waren in der Schweiz nur noch die eigenen Münzen umlaufsberechtigt.

  

Schweiz, 5 Franken 1926, letztes 5-Frankenstück der LMU

Trotz des unrühmlichen Endes der LMU hat es sich aber weitgehend gezeigt, dass es möglich sein sollte, ein einheitliches Währungssystem für Europa einzuführen und gemeinsames Geld zu akzeptieren. Wer weiss heute noch, dass um 1892 nur gerade 3% der in unserem Land umlaufenden Fünfliber schweizerischen Ursprungs waren, 97% stammten aus den Mitgliedstaaten der LMU. Keiner störte sich an diesem Umstand; Geldwechsel aber war eine überflüssige Sache.

Spezielles und Kurioses

Es ist nicht die Aufgabe dieses kleinen Artikels, eine Geschichte der LMU zu schreiben, sondern die Freude am Sammeln eines Spezialgebietes zu wecken. Da wir wissen, dass gerade kleine aussergewöhnliche Spezialitäten die Würze in der Suppe des Sammlers darstellen, sind an dieser Stelle einige solche Begebenheiten stichwortartig aufgezählt.

  

Napoleon Bonaparte, Kaiser (19.5.1804–11.4.1814), 20 Fr. 1814 Q (Perpignan)
  • Napoleons Regierung der 100 Tage zeigt sich auch in den verschiedenen französischen Münzen von 1814 bis 1816. Nach der Völkerschlacht von Leipzig und dem Zusammenbruch des Kaiserreiches wurde Bonaparte die Insel Elba als Fürstentum gelassen, all seine Macht aber sollte für immer unterdrückt sein. Der Bruder des 1793 enthaupteten Bourbonenkönigs Ludwig XVI. wurde als Ludwig XVIII. als neuer Regent eingesetzt. Nachdem also viele Jahre das Haupt Napoleons die Münzen geschmückt hatte, kehrten mit dem Jahrgang 1814 die bourbonischen Lilien wieder auf die Gepräge zurück. Kaum aber waren diese ausgegeben, landete Napoleon mit einigen wenigen Getreuen im März 1815 im Süden seines Mutterlandes, und die Soldaten liefen in Scharen zu ihm hinüber. Sofort wurden wieder 20-Fr.- und 5-Fr.-Münzen mit altem Bild geprägt, ebenfalls mit der Jahrzahl 1815. Die Schlacht bei Waterloo beendete aber endgültig Bonapartes Regime, mit der anschliessenden Verbannung auf die Insel St. Helena. Bereits im selben Jahr finden wir erneut den Kopf König Ludwigs XVIII. auf den französischen Münzen.
  
Louis XVIII., König (3.5.1814-20.3.1815), 20 Fr. 1814 A (Paris)
  • Der Dreispiess, das Münzzeichen des «Bürgers» Zéphyrin Cameliat auf den französischen 5-Fr.-Stücken von 1871 ist das numismatische Dokument für die erste Münze einer kommunistischen Regierung («Kommune von Paris» vom März bis Mai 1871). Sie hat auf dem Gebiet der LMU jahrelang ungehindert ihren Wert behalten. Überhaupt sind die verschiedenen Münzzeichen recht interessant, denken wir etwa an die Münzmeister- bzw. Stempelschneiderzeichen auf dem französischen Geld (und den italienischen Geprägen unter Napoleon), wie zum Beispiel die «säugende Wölfin» für den Münzmeister an der Prägestätte Rom oder ganz einfach an die Münzzeichen auf unserem Schweizergeld mit A (für Paris 1850/51 und 1894), B. (für Brüssel) und B (für Bern).
  
Napoleon Bonaparte, Kaiser für 100 Tage (20.3.1815-232.6.1815), 20 Fr. 1815 A (Paris)
  • Noch heute spricht man vom Konflikt zwischen der flämischen und der wallonischen Bevölkerung Belgiens, und bereits vor über 100 Jahren musste der belgische König Leopold II. diesem brisanten Problem Rechnung tragen, indem die Münzen in zwei Sprachen ausgegeben werden mussten, nämlich mit französischer oder mit flämischer Umschrift.
  • 1866 hatte der Vatikan unter Papst Pius IX. die Dezimalwährung im französischen Münzsystem eingeführt und bemühte sich in der Folge um die Mitgliedschaft in der LMU. Die Überschreitung der Prägemengen pro Kopf Einwohner verhinderte dies allerdings. Trotzdem zirkulierten Massen päpstlicher Münzen auch in unserem Land und mussten 1869 sogar eingezogen und zurückgeleitet werden.
  
Louis XVIII., König (8.7.1815-16.9.1824), 20 Fr. 1815 A (Paris)
  • Nicht nur die Mitgliedstaaten der LMU, sondern auch viele andere Länder, prägten nach dem bekannten Standard. So gibt es entsprechende Münzen aus Serbien, Bulgarien, Montenegro, Rumänien, Tunesien, Spanien, aus den Kleinstaaten San Marino und Liechtenstein, südamerikanischen Staaten und natürlich auch als Gepräge verschiedener Kolonien, wie etwa Belgisch-Kongo oder Eritrea. Der Weltmünzensammler kann also noch lange weiter zusammentragen. Die letzten Silbermünzen nach LMU-Standard prägten übrigens Venezuela bis 1965 und die Schweiz bis 1967.
  
Vatikan, Pius IX., 10 Lire 1866 R (Rom)
  • Auch das k. + k. Regime Österreich-Ungarn war nach dem Ausscheiden aus den Verträgen der Wiener Münzkonvention 1867 an der LMU interessiert und führte Verhandlungen über einen möglichen Beitritt, welche gar in einem Vorvertrag vom 31. Juli 1867 geregelt wurden. Bereits prägte man erste Goldmünzen mit Nominalen, welche in der LMU zugelassen werden sollten: 4 Gulden (bzw. Forint) zu 10 Franken und 8 Gulden (bzw. Forint) zu 20 Franken. Die Ausprägung mit beiden Nominalbezeichnungen auf derselben Münze erfolgte in den Jahren 1870 bis 1892, und zwar auf österreichischen wie auch auf ungarischen Stücken. Ein endgültiger Beitritt Österreichs zur LMU blieb aber aus.
  
Italienische Kolonie Eritrea, König Umberto I., 2 Lire 1896 R (Rom)

Ein Blick in die Zukunft

Unser zu Ende gehendes Jahrhundert kennt Wirtschaftszusammenschlüsse, Handelsabkommen und Geldsysteme, welche aus den unterschiedlichsten Gründen entstanden und mehr oder wenig erfolgreich waren. So gelang es etwa jahrzehntelang Grossbritannien, mittels des Commonwealth ihre ehemaligen Kolonien über die Foreign Exchange Control Bank of England monetär an sich zu binden.

Die eigentliche Weltwährung bildet heutzutage der amerikanische Dollar, dem es sogar gelungen ist, in vielen Ländern der Welt, neben der eigentlichen nationalen Währung, als Zahlungsmittel akzeptiert zu werden.

Und was ist mit Europa? 1957 erfolgte die Gründung der EWG (4) und drei Jahre später diejenige der EFTA5. Im Jahr 1967 wurde die Europäische Gemeinschaft EG gebildet, der nach und nach Grossbritannien, Irland, Dänemark, Griechenland, Spanien und Portugal beitraten. Am 7. Februar 1992 wurde der Vertrag von Maastricht von 12 Mitgliedstaaten unterschrieben, denen 1995 noch Finnland, Schweden und Österreich beitraten.

Die heutige Europäische Union war gebildet, und im selben Jahr wurde der gemeinsamen Währung EURO (zu 100 Cent) der Name gegeben. Seit dem 1. Januar 1999 verbindet diese neue Rechnungseinheit erstmals 11 europäische Länder als Buchgeld.

Ab 1. Januar 2002 werden die neuen EURO-Münzen und Banknoten eingeführt, und ein halbes Jahr später verlieren die nationalen Währungen ihre Gültigkeit. Innerhalb von nur 6 Monaten will man 70(!) Milliarden Umlaufmünzen von Irland bis Portugal und von Italien bis Dänemark durch gemeinsames Geld ersetzen (6).

Noch aber ist Europa nicht endgültig ver-EURO-isiert, sei es, dass gewisse Länder, wie Grossbritannien oder Schweden, diese Währung vorerst noch ablehnen, sei es, dass etwa Griechenland an den Konvergenzkriterien zum Beitritt verhindert wurde oder die Schweiz und die Länder in Osteuropa der EU gar nicht angehören. Die Zukunft wird zeigen, was aus dem guten alten Schweizerfranken wird!

Quelle: Helvetische Münzenzeitung

1 Herzlichen Dank für die Mithilfe an der Ausstellung gebührt den Herren Reinhard Eichenberger, Mark Maag, Carlo Meier, Hans-Ueli Wartenweiler (E. Dietrich AG, Zürich) und Benedikt Zäch (Münzkabinett der Stadt Winterthur).
2 Albert Niederer, Die Lateinische Münzunion, Hilterfingen 1976.
3 Unterdessen hatte man sich auf den Silbergehalt von 835/1000, den Franken zu 5 Gramm geeinigt.
4 Mitglieder: Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande, Luxemburg.
5 Mitglieder: Grossbritannien, Spanien, Norwegen, Dänemark, Schweden, Österreich, Portugal.
6 Die Vorderseiten der Münzen werden alle gleich sein, während die Rückseiten nationale Motive unterschiedlichster Zeichnung aufweisen. Die Banknoten sollen einheitliches Aussehen haben.